Rudi unser Flaschenkind
Eine Schweinegeschichte vom Carlotta-Hof
festgehalten von Sigrid Lühning
Am 22. Februar 2009 warf unsere Bunte Bentheimer Sau Betty elf Ferkel. Eins dieser Ferkel war besonders klein. Es wog nur 750 Gramm. Seine Geschwister waren fast doppelt so schwer.Wenn die Ferkel tranken wurde das Kleine immer zur Seite gedrängt und bekam nur sehr wenig, oder oft keine Milch ab.Als ich am anderen Tag in den Stall kam lag es nicht bei seinen Geschwistern, die sich an den Bauch der Mutter kuschelten. Ich entdeckte es hinter der Sau im Stroh.Es war ganz kalt und bewegte sich kaum noch. Ich nahm das Ferkel auf den Arm und rubbelte es kräftig. Doch das half nicht. So nahm ich es mit ins Haus.Dort legte ich eine Wärmflasche in eine Wanne, polsterte alles mit Handtüchern und einer alten Strickjacke aus und legte das Ferkel darauf. Als Ersatz für seine Geschwister bekam es noch ein Kuscheltier. Das Ganze kam vor den warmen Ofen im Wohnzimmer.
Es dauerte über eine Stunde, bis das Ferkel langsam wieder warm wurde.Zunächst gab ich ihm eine Traubenzuckerlösung mit einer Einwegspritze ins Maul.Aber das war natürlich nicht genug. Also kaufte ich eine Babyflasche und Ziegenmilch und begann es damit zu füttern.Nachdem die ersten Schwierigkeiten überwunden waren nahm unser Ferkel täglich etwa 100 Gramm zu und wurde immer munterer.Einen Namen hatte es inzwischen auch bekommen. Rudi sollte es heißen.
Ferkel massieren nach dem Trinken immer das Gesäuge der Sau mit ihren Rüsseln. Rudi massierte, wenn die Flasche leer war, immer meine Hände.
Bald wurde die Wäschewanne zu klein. In der Scheune hatten wir noch eine große Holzkiste, die einmal für Dackelwelpen gebaut wurde. Die kam jetzt neben den Ofen und Rudi zog um. Mit Kuscheltier natürlich.
In der Küche stand eine Plastikschale mit Mutterboden. Darin konnte Rudi wühlen oder, wenn er mochte Erde fressen. Das Fressen von Erde ist für die Ferkel wichtig. Sie nehmen dabei Eisen auf. Wir geben in den ersten Tagen, wenn die Ferkel noch nicht nach draußen können, immer einige Schaufeln Mutterboden in den Stall. Das erspart ihnen die übliche Eisenspritze.
Zu seiner Mutter konnte Rudi nicht wieder zurück, weil er inzwischen anders roch wie seine Geschwister. Sie hätte ihn nicht als ihr Kind erkannt und ihn wahrscheinlich gebissen. Er war auch noch zu klein und schwach um sich gegen seine Geschwister durchzusetzen. Also blieb er bei uns im Haus.
Als die Ferkel acht Wochen alt waren brachten wir ihre Mutter in einen anderen Stall. Dann teilten wir ein Stück vom Ferkelstall ab und setzten Rudi hinein. Er hatte in der Zwischenzeit gelernt sein Futter aus einer Schüssel zu fressen und brauchte jetzt keine Flasche mehr. Und er war groß genug um im Stall zu leben. Nun konnte er seine Geschwister schon einmal hören und riechen. Zwei Wochen später haben wir acht von ihnen verkauft. Zu den übrig gebliebenen beiden Mädels Birka und Flecki setzten wir unseren Rudi. Zu unserer Erleichterung gab es keine Kämpfe. Normalerweise werden Schweine aus einer anderen Gruppe nicht geduldet. Sie werden gejagt und gebissen.
Mittlerweile war Rudi zehn Wochen alt geworden und wir mussten uns Gedanken machen, was mit ihm werden sollte. Dass er nicht geschlachtet wird war für uns alle klar. Da aber bald die arbeitsreiche Zeit auf dem Hof begann, würde keiner mehr die Zeit haben sich mit ihm zu beschäftigen, wie er es gewohnt war.
Wir spielten schon mit dem Gedanken einen Streichelzoo zu suchen, da kam der rettende Anruf.
Die Lehrerin einer Waldorfschule fragte nach zwei weiblichen Ferkeln. Nachdem ich ihr von Rudi erzählt hatte entschloss sie sich ihn und eine seiner Schwestern für ihre Schulklasse zu kaufen.
So brachten wir Rudi und Flecki Anfang Mai nach Hannover, wo er schon sehnsüchtig erwartet wurde. Dort würde er seine täglichen Streicheleinheiten bekommen.
Birka ist bei uns geblieben. Sie hat vor einigen Wochen ihre ersten Ferkel geworfen.